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emüter wurden schon immer mehr von Ammenmärchen beeinflußt als von praktischen Überlegungen oder Fakten. Aus diesem Grund beschäftige ich mich nun mit dem Thema das den Menschen schon immer brennend interessiert hat, wenn auch aus mehr zweifelhaften Beweggründen. Namentlich stehen die sogenannten „Man-Eaters“, Menschenfresser zu deutsch, im Brennpunkt der Aufmerksamkeit.

Lediglich wenige Themen im Zusammenhang mit dem Tiger stoßen auf eine so große Interesse der breiten Öffentlichkeit. Emotionale Diskussionen stellen dabei jedoch den überwiegenden Teil, weswegen man nicht immer mit logischen Argumenten weiter kommt. Gerade deswegen möchte ich neben einigen Beispiele für Menschenfresserei aus Indien auch die Gründe für diese näher hinterfragen.

Vorab muß ich aber noch klar stellen, daß der Tiger nicht der Killer, als der er von manchen Menschen immer hingestellt wird, ist. Auf dies werde ich am Ende dieser Seite noch näher eingehen. Die Beispiele für Menschenfresserei reichen von einmaligem Vorkommen bis hin zu regelrechtem Massenmord. Unter anderem werde ich noch einen außergewöhnlichen Fall aus Kumaon (Indien) schildern über den vom berühmten Jim Corbett bereits berichtet wurde.

 

Beginnen möchte ich nun mit einem Fall aus Muktesar der ebenfalls von Jim Corbett überliefert wurde. Eine relativ junge Tigerin verlor im Kampf mit einem Stachelschwein ein Auge. Überall an ihrem Körper drangen insgesamt ungefähr fünfzig Stacheln ein, die teilweise eine Länge von bis zu 23 cm hatten. Durch hakenförmige Fortsätze an den Stacheln der Stachelschweine bewegen sich diese praktisch vorwärts durch das Fleisch bis diese auf einen Knochen treffen. So geschah es auch bei Corbetts Tigerin aus Kumaon.

Nachdem die Stacheln auf Knochen gestoßen waren bogen sich diese in eine U-Form und bewegten sich wieder Richtung Eintrittswunde zurück. Dieser Vorgang führte zu eitrigen und schmerzhaften Verletzungen. Um ihre Wunden zu lecken ließ sich die Tigerin im hohen Gras nieder. Im Laufe des Tages kam eine Frau an diesen Ort um Gras zu mähen. Die Tigerin nahm zuerst keine Notiz von der Frau, da diese noch nicht nahe genug war als das sich die Tigerin bedroht hätte fühlen können. Auf der Suche nach mehr Viehfutter näherte sich die Frau der Tigerin, diese empfand sich dann schließlich doch bedroht und töte die Frau.

Als diese am nächste Tag gefunden wurde hielt sie (die Frau) immer noch ein Büschel Gras in der einen und ihre Sichel in der anderen Hand. Mit großer Sicherheit starb die Frau augenblicklich, was auch durch den vollkommen zertrümmerten Schädel, vermutlich durch einen heftigen Schlag mit der Pranke, bestätigt wurde. Trotzdem machte die Tigerin keine Anstalten die Frau zu fressen sondern suchte vielmehr das Weite. Ihr neuer Unterschlupf war ein umgefallener Baumstamm der circa 2 km entfernt war.

Wie es der Zufall wollte kam zu eben diesem Baum ein Holzfäller um dort zu arbeiten. Wie von der Frau die Gras mähen wollte fühlte sich die Tigerin wohl von diesem Holzfäller bedroht und töte diesen ebenfalls. Hitze und die schwere Arbeit veranlaßten den Mann [vor seinem Ableben!!!] sein Hemd und seinen Rock auszuziehen. Bei dem Angriff der Tigerin zerkratze diese dem Mann den Rücken, so daß nun Blut auf den Boden tropfte. Dieser Umstand alleine brachte die Tigerin wahrscheinlich noch nicht dazu denn Arbeiter zu fressen, es kam aber ihr großer Hunger hinzu, weil die Tigerin durch ihre Verwundungen nicht normal jagen konnte.

Obwohl die Tigerin nur einen kleinen Teil des Rückens verzehrte war dies doch der erste Schritt in Richtung Menschenfresserei. Schon am nächsten Tag tötete die Tigerin erneut, und diesmal wohlüberlegt ohne jedwede vorausgegangene Provokation. Ihr fielen bevor sie erlegt werden konnte schätzungsweise 24 Menschen zum Opfer. {den Menschen als Opfer darzustellen widerstrebt mir - leider fiel mir keine andere passende Formulierung ein}

 

Im Vergleich zum nächsten Vorfall ist der Vorangegangene wohl ein unbedeutendes Geschehnis. Corbett ist ebenfalls der Berichterstatter dieses Falls der sich auch teilweise in Kumaon abspielte. Der sogenannte „Menschenfresser von Champawat“, auch eine Tigerin, verzehrte wahrscheinlich mehr als 430 Menschen. Alleine in den vier Jahren, in denen sie in Kumaon „tätig“ war, vertilgte diese 234 Menschen. Die restlichen Opfer schlug die Tigerin in Nepal, woher sie nach Kumaon kam, und in anderen Provinzen Indiens (oder angrenzenden Ländern).

 

Die Menschenfresserei hat also einige grundverschiedene Facetten, wie man anhand der vorangegangenen und dem folgenden Beispiel hoffentlich erkennen kann. Ich möchte nun auf den weiter oben angekündigten Sonderfall zu sprechen kommen, der genau genommen kein Beispiel für Menschenfresserei ist. Es trug sich zu, daß ein Mann am Rand eines Abhangs ein großes Bündel Gras sammeln wollte. Das sich ein Tiger näherte fiel dem Mann nicht weiter auf (verständlich!!!). Bevor sich der Mann versah stürzte sich der Tiger auf diesen, einen Zahn (Canini) unter dem rechten Auge, einen unter dem Kinn und die anderen beiden hinten im Nacken, biß der Tiger dann zu.

Die Wucht des Angriffes stieß den Mann um und so kam es zu einem bestimmt kuriosen Anblick. Der Mann lag auf dem Rücken, Brust an Brust mit dem Tiger und mit dessen Magen (des Tigers) zwischen seinen (den des Mannes) Beinen. Beim Sturz gelang es dem Mann in Reichweite einer Eiche zu kommen, da dieser während des Fallens seine Arme weit auseinander streckte. Im selben Augenblick, da der Mann einen Ast der Eiche ergreifen konnte, faßt er den Plan sich an dem Eichenast unter dem Tiger vorzuziehen und diesen (den Tiger) mit den frei liegenden Beinen den nahen Abhang hinunter zu stürzen.

Dieses kühne Vorhaben gelang dem Mann freilich nur aus zwei Gründen. Erstens hat der trotz des Zubeißens des Tigers und den damit verbundenen enormen Schmerzen, sämtliche Knochen der rechten Seite des Antlitzes wurden regelrecht zerquetscht, nicht das Bewußtsein verloren (eine für sich genommene schon grandiose Leistung/Glück). Weitergehend hat er zweites die Ruhe bewahrt und den Tiger so nicht noch mehr gereizt.

Nachdem der Tiger die Böschung heruntergefallen war und sich entfernte, band sich der Mann ein Tuch um den Kopf und ging zurück in sein Dorf. Es war also ausgesprochenes Glück, welches den Mann mit dem Leben davon kommen ließ. Nichts desto weniger kann dieser Tiger eigentlich kein sehr großes Exemplar gewesen sein, denn in dieser Situation einen Tiger anzuheben und wegzustoßen dürfte selbst für einen starken Menschen ein Problem bedeutet haben. Wenn man sich bis über 250 kg für einen erwachsenen indischen Tiger vor Augen führt, halte ich es persönlich für fraglich, ob man so ein Tier mit den Beinen, in dieser Lage, stemmen kann. Das nicht nur große Tiger einem Menschen gefährlich werden können ist hier als Resümee sicher erlaubt, wenngleich dies keine Überraschung sein dürft (Meinung des Autors).

 

Nach diesen eindrucksvollen Beispielen möchte ich mich nunmehr den Gründen für Menschenfresserei bei einigen Tigern befassen. Im Punkt warum Tiger Menschen fressen bin ich eindeutig mit Jim Corbett einer Meinung. Laut ihm geschieht dies aus Zufall. Um die Frage nach den Ursachen zu klären muß man sich natürlich mit den Detailfragen beschäftigen.

  • Die erste Frage die man sich stellen muß ist die Frage warum ein Tiger einen Menschen angreift und tötet, da der Tiger einen angeborenen Respekt vor dem Menschen (und anderen großen Säugern) zu haben scheint.
  • Die zweite und weitaus bedeutendere Frage beschäftigt sich mit der Klärung des Grundes, weswegen ein Tiger beginnt den Menschen nach der Tötung zu verzehren.

Der Hauptgrund für dieses Phänomen dürfte Hunger sein. Hauptgrund deswegen, weil es meiner Meinung nach noch andere Gründe geben kann. Dieser Hunger, der den Tiger „zwingt“ den Menschen anzugreifen, rührt meistens von der Unfähigkeit des Tigers seiner normalen Beute nachzujagen oder seltener schlicht und einfach aus der Nahrungsknappheit im Jagdrevier des Tigers her. Spätestens wenn der Tiger merkt wie einfach ein Mensch, im Gegensatz zu anderen Beutetieren wie einem Wasserbüffel, zu töten ist besteht die akute Gefahr von entstehender Menschenfresserei. Diese Aussage sollte man aber so nicht stehen lassen, weil nicht jeder Tiger der einen Menschen getötet hat gleich ein Menschenfresser wird. Schließlich ist der Mensch meistens selbst schuld.

Der Mensch scheint auch im Allgemeinen kein besonders gut schmeckender Fang zu sein. Obgleich diese Schlußfolgerung für einige Leute makaber klingen mag, ist sie nicht von der Hand zu weisen und man sollte nicht mehr hinein interpretieren als dahinter steckt. Einige Personen standen durch Zufall Auge in Auge dem Tiger im Abstand von wenigen oder weniger als einem Meter gegenüber und es passierte nichts, da diese Leute sich genauso besonnen verhalten haben wie ihr gegenüber. Auch Jim Corbett hatte ein solches Erlebnis.

Neben diesen Aussagen kann man anhand der von mir zitierten Beispielen auch noch erkennen wie unterschiedlich die „Man-Easters“ sind. Obwohl es grausig klingen mag töten einige Tiger „nur“ wenige Menschen im Vergleich mit anderen, deren Opferzahlen leicht 100 übersteigen können. Den Grund für die Häufigkeit der Attacken auf Menschen sieht Corbett in drei Fakten gebündelt.

  1. Sowohl die Menge der natürlichen  Nahrung im Jagdrevier des Tigers
  2. als auch die Art und Weise wie dieser zum Menschenfresser wurde und letztlich
  3. das Geschlecht.

Mit Geschlecht ist nicht nur Männchen oder Weibchen gemeint, sondern auch ob Tigerin mit oder ohne Jungen. Statistiken liefern dann eine Abrundung des Gesamtbildes, welches sich hier abzeichnet. Der Ruf der Tiger in manchen Regionen ist durch die berühmten Menschenfresser der vergangenen Jahrhunderte derartig furchteinflößend, daß die Einwohner ganze Dörfer panikartig verlassen, wenn nur ein Gerücht über die Anwesentheit eines potentiellen Menschenfressers im Umlauf ist.

Sundabans

Im allgemeinen findet man die menschenfressenden Tiger nicht an einem bestimmten Ort. Sie sind gleichmäßig über verteilt. Allerdings scheint es eine Ausnahme zu geben. Die Mangrovensümpfe der Sundarbans im nord-östlichen Indien in Bengalen scheinen ein Sammelpunkt für Menschenfresser zu sein. Diese Mangrovensümpfe liegen im Delta der Flüße Ganges und Brahmaputra. Das besonders salzige und brackige Meerwasser des indischen Ozeans wird für diese Neigung einiger Tiger verantwortliche gemacht. Die Sundarbans sind eine sehr undurchdringliche Region, in die sich wenige Menschen bis heute tief hinein getraut haben. So viele Tiger pro km2 Boden gibt es sonst nirgendswo. Es leben dort ca. 400 Tiger und die Unzugänglichkeit schützt den Tiger bis heute vor den Nachstellungen der Menschen. Pro Jahr töten Tiger in den Sundarbans etwa 100 Menschen. Die Menschen dort sind aber auf die Mangrovenwälder als Resourcenquelle angewiesen und gehen deshalb immer wieder in die Mangroven.

Ein Sammelsurium an Pseudofakten wird angeführt um die Ausrottungsjagd auf Tiger zu rechtfertigen. Selbstverständlich hat der Mensch das Recht sich zu verteidigen, aber keinesfalls das Recht aufgrund einer Minorität an Menschenfressern bei Tigern eine gesamte Spezies vom Erball zu radieren. Es muß noch explizit auf einen besonderen Umstand hingewiesen werden:

Viele der Gerüchte und Geschichten die sich um die Menschenfresser angesammelt habe sind gnadenlos überdramatisiert. Diese Halb-wahrheiten wurden zu einem erheblichen Teil von den Kolonialmächten (Kolonialmacht) in Umlauf gebracht. So sollten die scheußlichen Treib- und Ausrottungsjagden auf die Tiger im frühen zwanzigsten Jahrhundert gerechtfertigt werden. Die Geschichten von den sog. Großwild- oder Sportjägern (alleine die Bezeichnungen klingen in meinen Ohren wie der blanke Hohn) können generell nicht als authentisch angesehen werden.

Ich möchte meine Lieblingstiere, die Tiger, keinesfalls in falschem Licht erscheinen lassen und hoffe dies auch nicht unbeabsichtigt getan zu haben. Sollten zu diesem Thema fragen auftauchen, dann wenden Sie sich bitte an mich:

Shir Khan, the tiger
© 2001 by Marc "Sesshoumaru" Meiner