(Beispiele, Kannibalismus, weitere Strategien, u.v.m.)

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ach dem Abschluss der anatomischen Beschreibung des Tigers beschäftige ich mich nunmehr mit seinen Gewohnheiten. Besonderes Augenmerk lege ich neben dem Jagdverhalten auch auf sein soziales Verhalten (Hygiene, Fortpflanzung, usw.). Der Aufzählung entsprechend beginne ich mit dem Jagdverhalten des Tigers.

Entgegen der landläufigen Meinung ist der Tiger kein Hetzjäger. Dies bedeutet, daß der Tiger seiner Beute nur auf kurzen Strecken nachstellt und bevor er zuviel Energie bei der Jagd verbraucht diese lieber abbricht, getreu dem die nächste Gelegenheit kommt schon Motto. Sollte nicht gerade eine Nahrungsknappheit vorherrschen wird man dieses Prinzip, beim Tiger, öfter antreffen als man denkt. So ist zum Beispiel eine häufige Strategie die Jagd an der Wassertränke. Der Tiger lauert dabei im hohen Gras um die Tränke und wartet auf ein sich näherndes potentielles Beutetier.

Generell schleicht sich der Tiger so nahe wie möglich an eine Beute, um sie mit wenigen Sätzen (Sprüngen) erreichen zu können. Die Entfernung bei dem der finale Angriff erfolgt liegt meist in einem Bereich von zehn bis fünfunddreißig Metern Abstand zur Beute (Abweichungen findet man natürlich auch hierbei). Der Angriff selbst geschieht blitzartig und mit großer Präzision. Häufig kommt es vor, daß der Tiger seine Beute in ein Wasserloch treibt und dann solange wartet bis diese ertrunken ist. Trotz dessen ist nur etwa jeder zwanzigste Angriff von Erfolg gekrönt, da die Beutetier natürlich über eine ausgereifte Strategie verfügen um dem Tod zu entrinnen.

An dieser Stelle sollte noch auf einen weiteren Umstand, der zu Gunsten des Tigers gewertet wird, hingewiesen werden. Ich bin mir ziemlich sicher, daß man sich vorstellen kann wie der Tiger mit einem Biss oder deinem Prankenhieb seine Beute zu Boden streckt, dies ist aber in manchen fällen nicht von Nöten. Der Tiger ist ein massiges Tier, welches über 300 kg (wie bereits erwähnt) Körpergewicht erreichen kann. Obwohl der Tiger kein ausgesprochener Springer ist, da seine anatomischen Proportionen dafür relativ ungeeignet sind, genügen meist wenige Sprünge um ein Beutetier zu erreichen. Das sind aber keineswegs kleinen Sprünge, sondern viel mehr Sprünge die bis zu zehn Metern weit reichen können. Im Mittel kann man von sechs Metern sprechen. Auf dieses Thema wird unter "Fertigkeiten > Springen" in der Tigerbibliothek näher eingegangen und bitte daher diese Angabe vorerst so zu akzeptieren.

Der Tiger stürzt sich mit seiner ganzen Kraft/Wucht auf die Beute und dies reicht fast immer um das Beutetier umzuwerfen oder sogar das Genick direkt zu brechen. Da der Tiger mit Vorliebe den Hals angreift (ist auch verständlich), nicht den Körper, ist eine Genickbruch bei der Beute, alleine durch die Wucht der Attacke, nicht selten zu finden. Sollte das Beutetier überlebt haben setzt der Tiger, von Fall zu Fall (Beute zu Beute) verschieden, die bekannten Kehl- oder Genickbisse an.

Ich erachte es an dieser Stelle für wichtig auf die gerade erwähnten Arten, mit denen Tiger töten, einzugehen. Als erstes ist hier besagter Genickbiss anzuführen, der auch noch eine weiter Rolle spielt, auf die ich beim sozialen Verhalten (Fortpflanzung) eingehen werde. Die bereits erwähnte enorme Beißkraft die der Tiger entwickelt in Verbindung mit bis zu 9cm langen Caninae, stellen die Hauptkomponenten beim Nackenbiss dar. Der Tiger greift dabei von hinten an und springt seine Beute in Richtung Nacken an. Die Widerristhöhe der Beute spielt dabei eine untergeordnete Roll, da ein Tiger z. B. mühelos einem Elephanten auf den Rücken springen kann. Ist der Tiger erst einmal in der angestrebten Position beißt er zu. In der Regel durchstoßen die Caninae ohne großen Widerstand die Nackenmuskulatur und durchtrennten neben den Halswirbeln dann das Rückenmark, was fast augenblicklich zum Tode führt. Fast augenblicklich ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Nach dem durchtrennen des Rückenmarks kann man meistens noch mitunter minutenlanges Zucken beim Beutetier erkennen. Dies ist aber (!!) meistens nur eine Reaktion des autonomen Nervensystems und unkontrolliertes Sperrfeuer des Rückenmarks, also Reflexe. Bei einigen Beutetieren, wie Bären, muß auch ein kräftiger Tiger manchmal mehrmals zubeißen (meist nur bei kräftigen Bären) bevor er dem Bären das Genick gebrochen hat.

Diese Art des Angriffs hat jedoch noch einen zweite sehr wichtigen Anteil. Sobald die Beute mit den Zähnen festgehalten wird, und der Tod dadurch noch nicht eingetreten ist (z. B. bei Bubalus arnee), ergreift der Tiger mit seinen Pranken den Kopf der Beute. Mit seinen Pranken bewegt der Tiger den Kopf seiner Beute jetzt kräftig und ruckartig in beliebige Richtungen. Diese starken Bewegungen und die dabei zumeist wirkenden enormen Torsionskräfte brechen einer Beute entweder sofort oder nach ein Paar rucken das Genick oder begünstigen zumindest den Nackenbiss in seiner Effizienz. --> Nackenbiss oder nicht?

Ohne näheres über den Kehlbiss zu wissen, gebietet die Logik das selbiger sowohl von unten als auch frontal erfolgen muß. Nachdem sich der Tiger in einer geeigneten Position für die Attacke befindet stößt er frontal und in etwas gebückter Lage auf die Beute zu. Sollte es gelingen die Beute an der Kehle zu packen, so beißt der Tiger so heftig er kann zu. Untersuchungen an so getöteten Tieren brachten überraschende Ergebnisse. Die Tiere starben nicht an Sauerstoffmagen, so die Blutanalyse. Wahrscheinlich verliert das Tier durch das zudrücken der Schlagadern das Bewusstsein und verblutet dann. Ergo wird der Kehlbiss solang aufrecht erhalten bis das jeweilige Beutetier (Büffel, Bison, usw.) bewusstlos ist. Sollte es dem Fang gelingen sich dennoch wieder zu befreien erfolgt entweder ein zweiter Angriff oder der Tiger folgt dem Verwundeten bis dieser (der Fang) verblutet ist, da ein Kehlbiss doch meistens schweren Blutverlust zur Folge hat. Verbluten?

Im Zusammenhang mit dem Jagdverhalten sollten auch einige andere Details angesprochen werden. Der erste Punkt bezieht sich auf den Einsatz der Pranken bei der Jagd, denn obwohl der Tiger außerordentliche Kraft in seinen Pranken hat, nutzt er diese dessen ungeachtet nicht. Lediglich zum Fixieren bestimmter Körperteile während dem Kampf mit der Beute werden diese eingesetzt. Bei großer Beute werden die Pranken zwar, wie oben beschrieben, zum Brechen des Genicks eingesetzt, werden aber insgesamt nur passiv benutzt. Sollte es sich um ein kleineres Beutetier handeln, dann erschlägt bzw. erdrückt der Tiger seine Beute auch hin und wieder.

Ein weiterer Punkt bezieht sich auf das Anpirschen an die Beute. Anders als der Löwe, der bei der Jagd überhaupt keine Rücksicht auf die Windrichtung nimmt, berücksichtigt der Tiger diese sehr genau. Daher greift der Tiger seine Beute, immer wenn es möglich ist, gegen die Windrichtung an, damit die Beute den Angreifer nicht wittern kann (eigentlich unnötig zu erwähnen). Nachdem nun dargelegt wurde, wie der Tiger einer Beute zu leibe rückt ist es nur logisch mit den Eßgewohnheiten fortzufahren.

Nach dem Riss beginnt ein Tiger für gewöhnlich umgehend mit dem Verzehr seines Fangs. Ausnahmen von diesem Schema haben ihre Wurzeln zum Teil in der Beschaffenheit der Umgebung. Reißt der Tiger eine Beute z. B. in einem sumpfigen Gebiet so schleppt er diese zumeist an einen anderen Ort oder zu seiner Behausung (wenn diese in der Nähe ist) um sie dort zu vertilgen. Der Tiger schleift seine Beute auch  nicht weg, sondern trägt sie. So ist ein Fall von Z. Veselovský überliefet, bei dem ein Tiger einen 800 bis 900 kg schweren Büffel in einem Sumpf erlegte und anschließen 150m weit, über eine steile Böschung hinweg, an einen trockenen Platz schleppte. Dies ist ein weiteres beeindruckendes Beispiel für die Kraft, insbesondere der Halsmuskulatur, eines Tigers. Weitere solche Beispiele können Sie unter "Pure Power" auf der Startseite finden.

Die Mahlzeit selbst verläuft überwiegend nach dem gleichen Muster. Mit dem Verzehr wird entweder an den Schenkeln, dem Bauch, oder der Brust begonnen. Zurück bleiben nur Kopf und längere Knochen. Bei relativ kleinen Beutetieren, wie Hunden (z. B. Wildhunde), bleibt gar nichts übrig. Als Einschub ist noch ein Hinweis auf die Knochen die zurückbleiben zu tätigen. Diese Knochen sind meist absolut blank, besitzen also keinen noch so kleinen Fetzen Fleisch mehr. Dieser Zustand ist auf eine Eigenschaft der Zunge des Tigers zurückzuführen. Die Papillen der Zunge haben teilweise bis zu 5mm lange Widerhaken mit denen der Tiger den Knochen praktisch abschaben kann (eine Eigenschaft der Zunge aller Katzen, aber 5mm ist natürlich nur für den Tiger gemeint). Der Mensch bezeichnet auf solche Weise gewonnenes Fleisch als Separatorenfleisch.

Sollte der Tiger nicht in der Lage sein seine Beute auf einmal zu fressen, so verbleit der Tiger solange am Fraßplatz bis die Beute vollständig verzehrt ist. Dies kann manchmal bis zu 10 Tagen dauern. Man sollte vielleicht noch erwähnen, daß ein hungriger Tiger bei einer Mahlzeit, je nach Unterart, bis zu 40 kg Fleisch frißt. Im Schnitt spricht man aber von ca. 8 kg Fleisch pro Tag, wobei ein Tiger nicht jeden Tag Jagdglück hat und deswegen auch nicht jeden Tag Nahrung aufnimmt. Während des Essens trinkt ein Tiger meistens sehr viel Wasser oder wenn keine Wasserstelle in der Nähe ist (ehr ungewöhnlich) danach bzw. fungiert das Blut der Beute als Flüssigkeitsquelle. In zoologischen Gärten wird manchmal den Tiger statt Wasser gezielt Blut zu trinken gegeben, um so den Tigern auf natürliche Weise benötigte Nährstoffe und Mineralien zu zuführen.

Jeder der im  Dschungel auf so einen Fraßplatz trifft, auf dem noch einige Reste der Beute liegen, sollt auf der Hut sein, da der erfolgreiche Jäger mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Umgebung irgendwo auf der Lauer liegt. Manchmal trifft man an solchen Plätzen einen schlafenden Tiger. Nach großen Mahlzeiten schlafen die Tiger dann so tief, daß man sich ihnen bis auf kurze Entfernung „gefahrlos“ nähern kann. Gefahrlos sollte man allerdings nicht ganz so wörtlich nehmen, denn man sollte trotzdem wissen was man da macht, also ein Experte sein.

Als letztes möchte ich noch ein paar Worte zum Umgang der Tiger mit der Beute sagen. Aufgrund des Verhaltens von Hauskatzen gegenüber ihrer Beute, namentlich das Spielen mit der Beute, gehen viele Leute davon aus, daß Tiger dies ebenfalls pflegen. Dieses Verhalten bei den Hauskatzen ist eine Überreaktion der Katze auf den Fang eines Tieres. Viele Beutetiere haben auch wirksame Verteidigungsmechanismen und können der Katze auch Schaden zufügen. Um dies zu verhindern versucht die Katze mit ihren Pfoten die Beute benommen bzw. bewusstlos zu schlagen bevor der Tötungsbiss angesetzt wird. Da Hauskatzen für gewöhnlich nicht an das Jagen gewöhnt sind, reagieren sie überängstlich. Sie können die Gefährlichkeit ihrer Beute nicht beurteilen und schlagen so öfter zu als es nötig wäre (manchmal werden die Beutetiere tot geschlagen und danach erst mit dem Tötungsbiss mehr rituell getötet). Bei Wildkatzen findet man dieses Verhalten äußerst selten. Nur bei Mutterkatzen kann man es beobachten, da diese manchmal gefangene Beute nicht direkt töten wollen, sondern ihrem Nachwuchs diese Techniken lehren wollen.

Weil alle Katzen in der "freien" Wildbahn, und mit Sicherheit auch der Tiger, zumeist erfahrende und trickreiche Jäger sind, kann man diese Art von "Fehlverhalten" (Dilettantismus ist wohl zu viel des Guten) dort nicht beobachten. Hiermit möchte ich meine Beschreibung des Jagdverhaltens des Tigers abschließen. Sollten noch Frage vorhanden sein oder ich etwas vergessen haben was unbedingt noch Erwähnung finden sollte, dann schicken Sie mir einfach eine Mail!

© 2001 by Marc "Sesshoumaru" Meiner